30. Juni 2013

Liebe Eltern, wir lieben euch. Aber eben anders.



Nach dem Abitur stellt sich die Frage wo man sich in den kommenden Jahren lieber sieht:
Entweder: in der fürsorglichen Umarmung der Eltern, die nach frischen Geldscheinen und selbstgebackenem Sonntagskuchen riecht.
Oder: verarmt und stinkend (weil man sich kein Shampoo mehr leisten kann) in einer zugemüllten Wohngemeinschaft mit Menschen, die dasselbe Leid aber auch ihren Alkohol mit dir teilen.
Da regelmäßiges Duschen die schützende Fettschicht der Haut ruiniert, ich in einem aufgeräumten Zimmer noch nie zurechtkam, Alkohol einen wichtigen Bestandteil meines depressiven Lebens darstellt, Pseudophilosophen darauf plädieren Geld mache nicht glücklich und die Umarmung der Eltern nach schweißt riecht, weil sie immer nur aufräumen und arbeiten, habe ich mich letztlich für das Oder entschieden.
In solchen Momenten der Selbstwahrnehmung tritt einem natürlich gerne das schlechte Gewissen und die Einstellung der anderen entgegen, die einem versuchen einzureden man sei herzlos und kalt. Dem ist natürlich nicht so.
Auch ich habe irgendwann mal Liebe erfahren und war stets bemüht diese in irgendeiner Form zurückzugeben (ich habe meine Eltern zwar nie auf Klassenfahrten angerufen, ihnen aber immer gedankt, wenn sie mich trotzdem wieder abgeholt haben). Und sicherlich habe auch ich irgendwann mal mit meinen Eltern gekuschelt. Ich kaufe ihnen sogar Geschenke, wenn sie Geburtstag haben.
Es ist vielmehr so, dass mir im Laufe meiner doch recht erfolgreichen Jugendentwicklung des Öfteren freundlich mitgeteilt wurde, auf dem Speicher befänden sich bereits Umzugskartons, die nur darauf warten, dass ich 19 werde. Außerdem möchte der alte, hässliche Glastisch aus der Wohnstube auch mitgenommen werden. (Dann müsste mein Freund nicht unter mysteriösen Umständen über unseren Hund stolpern und auf die Glasoberfläche fallen damit wir uns von dem Versicherungsgeld bei IKEA einen schöneren kaufen können.)
Es mag ja sein, dass bei vielen die Bindung zu ihren Eltern einer Eisenkette ähnelt, bei mir ist sie eher ein dünner aber stabiler Kupferdraht, leicht strapaziert durch Gespräche, die sich irgendwo zwischen »Räum‘ dein Zimmer auf!« und »Nein, ich mag es  zugemüllt und stinkig!« verloren bzw. »Nein, das mach‘ ich erst, nachdem wir Besuch von dem Chef meines Vaters bekommen haben.«
Oder: »Räum‘ deine Schuhe ins Schuhregel« und »Nein, die brauch‘ ich doch nächste Woche wieder.«
Oder: »Wechsel bitte sofort die leere Klopapierrolle!« und »Nein, die wechsel ich erst, wenn ich nach Bier und Knoblauch auf dem Klo sitze und es zu spät ist.«
Ihr kennt das.


Eine Freundin hat auf mein schlechtes Gewissen hin und die Frage warum manche ihr zu trautes Heim samt Eltern bevorzugen relativ treffend geantwortet: »Viele sagen, weil sie eben Geld sparen wollen. Ich will lieber arm sein und dafür ein eigenes Leben haben. Nur, weil man ausziehen will, heißt es ja nicht, dass man die Eltern hasst.«
Was noch fehlt, ist folgender Satz: Liebe Eltern, wir lieben euch. Aber eben anders.

2 Kommentare:

  1. Könnte ich genau so unterschreiben. :)

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  2. Hach, also zumindest das Duschgel kann man sich doch leisten - zumindest um einmal in der Woche zu Duschen ;-). Naja, und die Eltern sind doch eh froh wenn man ausgezogen ist. Nach immerhin 19 Jahren hat man die ja auch genug genervt.

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